Montag, 17. November 2008

Demonstrationsprivileg

Demonstrieren darf im deutschen Land
so manch' friedlich-freier Demonstrant.
Verbrieft ist von Gesetzes wegen
das freie Denken, freies Reden.
Der Minister find' das allerhand.

Gegen Demonstrantenzahlen
kann er nur mit Staatsmacht prahlen:
Um Demonstranten rauszupicken,
muss er viel Polizisten schicken
und dann geht es an's bezahlen.

Wo um alles in der Welt
ist nur des Ministers Geld
für Polizisten hingekommen?
Wie wär' es denn, mal angenommen,
wenn man nun die Hand aufhält?

Die Idee ist schnell geboren:
Minister bleibt heut ungeschoren.
Toll! Der Demonstrant jetzt blecht
für sein Demonstrantenrecht
und hat bald Geld und Recht verloren.

©2008, Jürgen Winkler


Nach den Blockaden des Atommülltransports nach Gorleben in der letzten Woche will Herr Schünemann (CDU, Innenminister in Niedersachsen) die Demonstranten zukünftig für verursachte "Mehrkosten" zur Kasse bitten. Die Lagerung der Atomabfälle sei von nationalem Interesse. Das Strafrecht müsse geändert werden, damit die Kosten auf die beteiligten Demonstranten umgelegt werden könnten.

Zur Erinnerung:
Die Atomabfälle werden von den Betreibern der Atomkraftwerke produziert. Deren Interesse ist es, die Abfälle so schnell wie möglich los zu werden. Am besten gleich unter die Erde: Aus den Augen, aus dem Sinn. Verwechselt der Minister hier möglicherweise "nationales Interesse" mit den Interessen der Atomkonzerne?

Niedersachsen muss aufgrund des riesigen Polizeiaufgebotes für ungefähr ein Viertel der 20 Millionen Euro aufkommen, die der Castor Transport von Le Havre (Frankreich) nach Gorleben ins niedersächsische Wendland gekostet hat. Da jedes Mal ein Großteil der Polizisten aus anderen Bundesländern angefordert werden muss, zahlt Niedersachsen einen Teil der ungefähr 5 Millionen Euro an andere Bundesländer. Das heißt, für das nationale Interesse (der Atomkonzerne) wird immer wieder dieses eine Bundesland zur Kasse gebeten. Wenn der Innenminister von Niedersachsen sein Bundesland aus nachvollziehbaren Gründen vor ungerechtfertigten finanziellen Belastungen schützen will, dann soll er das Geld aber nicht von denen einfordern, die für ihre Sicherheit und gegen die Gefährdung zukünftiger Generationen demonstrieren. Außerdem scheint Herr Schünemann völlig zu übersehen, dass der Kampf der Atomkraftgegner sich nicht gegen Niedersachsen richtet: Die demonstrieren für die Sicherheit ihrer Heimat im Wendland, welches bekanntlich ein Teil Niedersachsens ist.

Ich hoffe doch sehr, dass nationales Interesse inzwischen nicht wirklich gleichbedeutend mit den Interessen der Atomkonzerne ist. Wenn der Atommüll aber nationales Interesse berührt, dann soll auch der Staat, der den Atomkonzernen den Betrieb der Atomkraftwerke gestattet, für die Kosten aufkommen. Wenn er das jedoch aus verständlichen Gründen nicht will, dann soll er gefälligst die Atomkonzerne für die von ihnen verursachten Kosten zur Kasse bitten. Gäbe es keine Atomkraftwerke, dann gäbe es weder teuere Atommülltransporte noch kostenverursachende Demonstrationen. Vor dem Hintergrund der drohenden Klimakatastrophe wäre es sinnvoller, die Atomkraftwerke in Deutschland früher als vereinbart stillzulegen, und das sonst dafür verschwendete Geld in die zügige Entwicklung und Einführung der Energieerzeugung mit alternativen Techniken und aus regenerativen Energieträgern zu investieren.

Von den finanziellen Folgen der Atompolitik einmal abgesehen, sollte spätestens seit dem Super-GAU in Tschernobyl jedem klar geworden sein, dass der Betrieb der Atomkraftwerke eine ständig latent vorhandene Bedrohung der Sicherheit darstellt. Außerdem werden die Folgen der heutigen "Aus-den-Augen-aus-dem-Sinn-Atompolitik" noch zahlreiche Generationen unserer Nachfahren bedrohen. Kein Mensch kann für so lange Zeiträume garantieren, dass es nicht zu geologischen Veränderungen kommen wird, welche den in den Untergrund verbannten radioaktiven Müll wieder ans Tageslicht bringen werden. Auch menschliche Schwächen und der Faktor "menschliches Versagen" gepaart mit "menschlichem Erfindungsreichtum" stellt eine ständige Bedrohung der Sicherheit dar. Das haben uns die Vorgänge um das sogenannte "Forschungsendlager" Asse-II recht deutlich vor Augen geführt.

Übrigens:
Gegen "gewisse Eingriffe" in den öffentlichen Verkehr gibt es bereits Gesetze. Die bräuchten nur angewendet werden. Der Ruf nach Gesetzesänderungen, die es ermöglichen sollen, Demonstranten für ihr gutes Recht zur Kasse zu bitten, ist nichts weiter als Populismus.


Wenn es dem niedersächsischen Innenminister jedoch darum gehen sollte, mit seiner angedachten Gesetzesänderung so etwas wie eine Demonstrationsgebühr einzuführen, dann wäre das ein massiver Eingriff in die Rechte der Bürger in unserem Land. Finanzielle Repressalien gegen Demonstrationen wären der Anfang zur willkürlichen Einschränkung des Demonstrationsrechts durch die Hintertür. Zum Beispiel hätten Hartz-IV Empfänger oder Rentner dann irgendwann keine Chance mehr, für ihre Anliegen auf die Straße zu gehen, weil sie sich das finanziell einfach nicht mehr leisten könnten. Aus dem Recht aller Bürger, für ihre Anliegen zu demonstrieren, könnte somit sehr schnell ein Privileg für wenige Gutbetuchte werden.


Tipp:
Recht umfassend, und hübsch garniert mit satirisch bissigen Einlagen, serviert Dr. No das Thema in seinem Artikel "Demonstrationsrecht, made in Lower Saxony".

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