Montag, 4. Mai 2009

Wir ernähren die Welt

- Warum der Westen daran Schuld ist, dass Armut existiert -


We Feed the World

Der Dokumentarfilm "We Feed the World - Essen global" des Österreichers Erwin Wagenhofer zeigt die Ursachen und Auswirkungen der Globalisierung am Beispiel der Nahrungsmittelproduktion für die Europäische Union. In verschiedenen Abschnitten zeigt er die unterschiedlichen Formen der weltweit industriell organisierten Rohstoffgewinnung, Produktion, Handel, Transport, Entsorgung und die Benutzung von Gentechnologie durch Lebensmittelkonzerne.

Der Filmtitel "We feed the World" war ursprünglich ein Werbeslogan von Pioneer, dem größten Saatguthersteller der Welt. Verschiedene Menschen unterschiedlicher Nationalität erläutern im Film die Folgen der industriell organisierten Rohstoffgewinnung und Jean Ziegler, UN-Sonderberichterstatter für das Menschenrecht auf Nahrung, verdeutlicht weitere Zusammenhänge.

Der in diesem Video gezeigte Ausschnitt aus dem Dokumentarfilm zeigt den Kommentar eines österreichischen Landwirts zu Beginn des ersten Kapitels, der sich zu den Folgen der Agrarsubventionen und dem Verschwinden der Landwirtschaft äußert. In Filmcollagen folgen dann das Mähen eines Kornfeldes und der Transport des gedroschenen Getreides zur Mühle ... - Anschließend sieht man, wie große Mengen Brot zur Entsorgung in ein Sammellager transportiert werden ...

Vor einigen Jahren hatte einer meiner Freunde die Idee, das Brot, das einige Tage vor dem Erreichen des aufgedruckten Mindesthaltbarkeitsdatums von den Lieferanten aus den Regalen der Supermärkte zurückgeholt wurde, um durch frischeres Brot ersetzt zu werden, zum halben Preis zu verkaufen. Er mietete in Mitte und in Geestemünde je einen leerstehenden Laden an und schnell hatte er einen ausreichenden Kundenstamm, so dass er die Läden sicher betreiben konnte. Er verkaufte das Brot so lange, bis das Mindesthaltbarkeitsdatum tatsächlich erreicht worden war. Das ging so lange gut, bis einige Neider vor Gericht gegen den Verkauf des Brotes zum halben Preis klagten. Am Ende des Verfahrens, in dessen Verlauf er die Läden schließen musste, bekam mein Freund zwar recht, aber da ihm die Sache aufgrund der Klage nur Ärger und Verlust eingebracht hatte, startete er keinen weiteren Versuch, seine Idee zu verwirklichen.

Zudem hatte sich in der Zwischenzeit die Situation bezüglich des aus den Regalen der Supermärkte zurückgeholten Brotes dramatisch verschlechtert. Ich hatte meinem Freund damals dabei geholfen, das Brot aus dem Lager einer Großbäckerei in Wulsdorf zu holen und zu den Läden zu bringen. In der Anfangszeit wurde das Brot originalverpackt in Brotkisten in das Lager zurückgebracht. Die Kisten wurden dort zu Stapeln aufgetürmt. Ich belud den Lieferwagen meines Freundes mit den Kisten, und fuhr das Brot in die Läden. Gegen Ende der Zeit, bevor er die Läden schließen musste, kippten die Fahrer des Herstellers das Brot aus den Brotkörben von der Laderampe ihrer Lkw's in einen Abfallcontainer auf dem Hof vor dem Lagergebäude, anstatt es im Lager mit den Brotkisten zu stapeln. Um das Brot in den Lieferwagen meines Freundes zu bekommen, musste ich in den Abfallcontainer hineinklettern. Ich stand also mit den Füßen auf einem großen Berg Brot, und suchte das noch verwertbare Brot in unbeschädigten Verpackungen daraus heraus, um den Lieferwagen damit zu beladen.

Zur gleichen Zeit zeigten die Fernsehnachrichten abends täglich Bilder von verhungernden Menschen in Äthiopien (Afrika). Bei der Vorstellung, was die Verhungernden dort denken würden, wenn sie mich mit den Füßen im Brot stehend gesehen hätten, packte mich jedesmal die Wut. Ich habe mich damals furchtbar für unsere Überflussgesellschaft geschämt, die unser wichtigstes Grundnahrungsmittel lieber vernichtet, anstatt es den Menschen am Rande unserer Gesellschaft zu geben, die sich nicht einmal das Brot aus dem Supermarkt leisten können.

Nach Auskunft von Jean Ziegler könnte mit den vorhandenen Ressourcen das Doppelte der Weltbevölkerung ernährt werden. Dennoch würden täglich 100000 Menschen an Hunger bzw. seinen unmittelbaren Folgen sterben. Er sagt: "Alle fünf Sekunden verhungert ein Kind unter zehn Jahren. Ein Kind, das an Hunger stirbt, wird ermordet."

Die Menschen, denen es an nichts fehlt, sitzen zur gleichen Zeit in ihren feinen Sonntagskleidern sonntags im Gottesdienst in der Kirche und beten im Vater Unser: "Unser tägliches Brot gib uns heute" ... - und im nächsten Satz folgt die dringende Bitte: "Und vergib uns unsere Schuld, ..."

Wie großmütig muss der Gott der Christen sein, wenn er "seinen Kindern" in den westlichen Industriegesellschaften die ungeheuere Schuld am Hungertot von Millionen von Menschen vergeben kann? Wie blind muss er gegenüber seinen Kindern in den Hungerregionen seiner Welt sein, wenn er gleichzeitig deren millionenfaches Leid und Elend aufgrund der Raffgier der westlichen Überflussgesellschaften zulässt?

Ich denke, wir sollten Gott hier besser aus dem Spiel lassen. Er ist nicht Schuld am derzeitigen Zustand seiner Welt. Es ist ganz allein die Schuld der Menschen, die seine Schöpfung mit ihrer Gier in den Ruin treibt! Es ganz ihre Schuld, wenn sie sonntags im Gottesdienst in der Kirche gedankenlos die Worte des "Vater Unser" herunterplappern, und meinen, damit ihr Seelenheil bis zum nächsten Wochenende gerettet zu haben. Die Schuld die unsere Generationen und die unserer Eltern auf uns laden, könnte eines Tages unsere Kinder und Kindeskinder treffen, wenn die Hungernden aus der sogenannten Dritten Welt sich aus lauter Verzweiflung bei uns das zum Überleben notwendige holen, was wir ihnen aus Habgier vorenthalten.


Auch aufgrund meiner eigenen Erfahrungen aus der Zeit der Brotläden meines Fraundes war ich sehr gespannt auf den Film "We Feed the World", bevor ich ihn das erste Mal gesehen hatte. Ich kannte den Trailer und hatte vorher das eine oder andere darüber gelesen. Nachdem ich den Film gesehen hatte war ich zuerst einmal nur sprachlos und bestürzt. Ich war fassungslos über die Arroganz der nur auf Gewinnmaximierung geeichten Lenker der mächtigen, weltweit vernetzten Nahrungsproduzenten und ihrer politischen Handlanger - daran hat sich bisher auch nichts geändert. Wenn sich an deren Machenschaften der Konzerne etwas ändern soll, dann kann das nur dadurch erreicht werden, dass so viele Menschen wie möglich in aller Welt darüber informiert sind, und ihr Verhalten als Verbraucher auf die neuen Erkenntnisse einstellen.

Im letzten Jahr habe ich den Film "We Feed the World" auf DVD zum Geburtstag geschenkt bekommen. Inzwischen gibt es ihn auch im Internet - allerdings in "nicht ganz so toller" Bild-Qualität - auf Google-Video zu sehen. Er dauert 95 Minuten. Falls ihr euch die Zeit dafür nehmen könnt, solltet ihr ihn euch auf alle Fälle einmal ansehen.


Zum Weiterlesen:

Wikipedia:
Hintergrund Informationen zu "We Feed the World"

Essen Global:
Weitere Hintergrundinformationen

Bantam Mais:
Aktion gegen die Folgen des Anbaus von
genmanipuliertem Mais in Deutschland.

Spiegel Online:
Im Reich des Gen-Giganten

Umweltinstitut München e.V.:
Eine ökonomische Katastrophe
(Interview mit Landwirt Percy Schmeiser)

Campact:
Monsanto - der weltweit größte Hersteller
von gentechnisch verändertem Saatgut

Zeit Online:
Wir essen die Welt

Zeit Online:
Blut, Rauch, Schwefel

Stuttgarter Zeitung:
Wasser und Brot

juwi's welt:
Anbauverbot für genmanipulierten Mais gefährdet

  • Karl Otrok, ehemals Produktionsdirektor
    von Pioneer in Rumänien:


    "We fucked up the west some time ago and now that we are coming to Romania, we will fuck up all the agriculture here."


    (Vor einiger Zeit haben wir den Westen kaputt gemacht
    und jetzt wo wir nach Rumänien kommen, werden wir die
    gesamte Landwirtschaft hier auch noch kaputt machen).

(Quellen: Wikipedia, Spiegel Online, Umweltinstitut München e.V., Campact,
Zeit Online, Stuttgarter Zeitung, Google Video)

2 Kommentare:

kelly hat gesagt…

moin jürgen,
von der brhv.er aktion wusste ich nichts.
unglaublich!
hatte ich das thema hier gesehen und am donnerstag aufgegriffen?
bei meinen schnellen internetstreifzügen verliere ich schon mal den überblick, doch der film war nachhaltig.
wer bestimmt wo es lang geht?
wir sind....

juwi hat gesagt…

Hallo Kelly,

falls du mit "brhv.er aktion" die Brotläden meines Freundes meinen solltest, dann ist das schon gut 20 Jahre her. Die geschilderten Eindrücke von damals werde ich aber wohl kaum vergessen können. Im Zusammenhang mit anderen Bildern, Nachrichten oder in Gesprächen über diesen Themenkreis erinnere ich mich jedes Mal daran.

Und dann gibt's da noch die Geschichten, die sich in der Familie erzählt wurden. Wenn meine Großeltern von ihren Erlebnissen in den letzten Kriegsjahren und den "schlechten Jahren" danach bis zur Währungsreform erzählten, dann kamen immer wieder die Worte "Brot wirft man nicht weg" in ihren Erzählungen vor. Meine Mutter hat einmal erzählt, dass sie in dieser Zeit einmal von einer Nachbarin einen trockenen Brotknust geschenkt bekommen hatte, den sie vor lauter Heißhunger verschlungen hatte, bevor sie wieder nach Hause ging. Ihren Eltern und Geschwistern hatte sie nichts davon erzählt, aber sie hatte tagelang ein schlechtes Gewissen, weil auch die anderen Mitglieder ihrer Familie ständig Hunger hatten. Meine Mutter muss damals so vierzehn oder fünfzehn Jahre alt gewesen sein. Erst viele Jahre später hat sie ihren Eltern von dieser Episode erzählt ...

Heute wird in Europa auf Teufel komm raus mehr Nahrung produziert, als wir essen oder verkaufen können. Damit die Preise wegen des zu großen Angebots nicht "kaputtgehen" oder weil das Brot, wie im Film gesagt wird, schon zwei Tage alt ist, werden tonnenweise Lebensmittel vernichtet, während gleichzeitig ein großer Teil der Menschheit verhungert!

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