Donnerstag, 12. August 2010

An den Pranger gestellt

Wer sich mit der Geschichte der europäischen Völker und Staaten zur Zeit des Mittelalters beschäftigt, der wird wohl froh sein, dass die dunklen Zeiten der römisch-katholischen Inquisition, der willkürlichen Justiz, der Folter, sogenannter "Gottesurteile" und der Scheiterhaufen im heutigen Europa nur noch eine gruselige, verblassende Erinnerung sind.

Um so bestürzender ist es für mich, das in heutigen, selbsternannten "Gottesstaaten" derartige Methoden noch an der Tagesordnung sind. Im europäischen Mittelalter wurden einer angeblichen Straftat bezichtigte Menschen auf dem Marktplatz an den Pranger gestellt. Sie wurden damit zum Gespött der Stadt. Ob sie nun schuldig waren oder nicht: Sie konnten sich anschließend nirgends mehr blicken lassen. In Zeiten der Globalisierung und der weltweiten Vernetzung durch elektronische Medien ist die Praxis, Menschen wegen angeblicher Verbrechen an den Pranger zu stellen, an Perversität kaum noch zu übertreffen. Besonders verwerflich ist es, wenn diese damit gezwungen werden, sich ihren Henkern auszuliefern.

Ebenso wie viele andere Blätter im In- und Ausland berichtete auch die Basler Zeitung, die zum Tod durch Steinigung verurteilte Iranerin Sakineh Mohammadi Ashtiani sei vor den Kameras des iranischen Fernsehens dazu genötigt worden, Ehebruch und eine Beteiligung am Tode ihres Ehemannes zu gestehen.

Vor ihrem öffentlichen "Geständnis" sei sie nach Aussage ihres derzeitigen Anwalts, Houtan Kian, zwei Tage lang gefoltert worden. Die iranischen Behörden hatten ihm bei der Übernahme der Verteidigung Sakineh Mohammadi Ashtiani's, mitgeteilt seine Klientin solle möglicherweise gehängt werden. Um an ihren ersten Anwalt, Mohammad Mostafaei, mundtot zu machen, wurden dessen Frau und Verwandte bedroht und inhaftiert. Nachdem das iranische Regime versucht hatte, auch Herrn Mostafaei festzunehmen und zu inhaftieren, floh dieser zuerst über die Grenze in die Türkei und ist jetzt in Norwegen aufgenommen worden.

Die Kinder der von der Steinigung bedrohten Sakineh Mohammadi Ashtiani, der 22-jährige Sajad Ashtiani und seine fünf Jahre jüngeren Schwester Farideh, veröffentlichten am 26. Juni einen weltweiten Hilferuf: Auf der Internetplattform Facebook schrieben sie: "Bitte helfen Sie unserer Mutter, wieder nach Hause zu kommen. Helfen Sie uns, damit dieser Albtraum nicht Wirklichkeit wird." Es gebe keinen einzigen zivilen Kläger gegen ihre Mutter, "sie hat nichts Schlechtes getan" ...

Viele internationale Netzwerke nahmen sich des Falles an und ihre Mitglieder verurteilten die iranische Praxis der Steinigung zur Vollstreckung von Todesurteilen, sowie derjenigen der willkürlichen Verurteilung aufgrund subjektiver Entscheidungen einzelner "Richter".

Nach Angaben der internationalen Menschenrechtsorganisation "Amnesty International" gibt es im iranischen Strafrecht die sogenannte Bestimmung der "Erkenntnisse des Richters", denen zufolge Richter nach eigenem Ermessen entscheiden können, ob sie eine angeklagte Person für schuldig befinden, selbst wenn für einen Schuldspruch keine eindeutigen und zwingenden Beweise vorliegen. Da drei der fünf Richter Sakineh Mohammadi Ashtiani mit Verweis auf ihre "Erkenntnisse des Richters" des Ehebruchs für schuldig erklärt hatten, sei sie zum Tod durch Steinigung verurteilt worden. Die anderen beiden Richter hatten sie unter Hinweis darauf, dass Sakineh Mohammadi Ashtiani deswegen bereits zu 99 Peitschnhieben verurteilt und ausgepeitscht worden sei, und dass in dem Verfahren der nötige Nachweis für den angeblichen "Ehebruch" nicht erbracht worden sei, für unschuldig erklärt.


Auf seiner Internetseite bittet "Amnesty International"
die Öffentlichkeit dringend um Unterstützung
.

Dort gibt es auch detailierte Hintergrundinformationen zur Bedrohung der Menschen, die in enger Verbindung zu Sakineh Mohammadi Ashtiani stehen, durch die iranischen Machthaber. Am Ende der Seite finden sich Kontaktadressen für Appelle an den Religionsführer Ayatollah Sayed 'Ali Khamenei, die oberste Autorität der Justiz Ayatollah Sadegh Larijani, den Leiter der staatlichen Menschnenrechtsbehörde Mohammad Javad Larijani, sowie an den Botschafter der islamischen Republik Iran in Deutschland, Herrn Alireza Sheikh Attar. "Amnesty International" empfiehlt, E-Mails oder Luftpostbriefe mit Forderungen, das Todesurteil gegen Sakineh Mohammadi Ashtiani nicht zu vollstrecken, auch nicht mit anderen Methoden, den Justizfall einer umfassenden Überprüfung zu unterziehen, Steinigungen generell zu stoppen, die Todesstrafe abzuschaffen, Prügelstrafen zu verbieten, und damit aufzuhören, Menschen, die Ehebruch begehen, zu kriminalisieren, an die genannten iranischen Behörden zu senden.

Auch die Online Petition des internationalen demokratischen Netzwerks AVAAZ kann weiterhin unterzeichnet werden.

Einem Interview des Hessischen Rundfunks mit dem Iraner Ali Sadrzadeh zufolge, ist der Druck der internationalen Öffentlichkeit auf das Regime in Iran wohl die einzige verbleibende Chance, das bestialische Todesurteil gegen eine wahrscheinlich unschuldige Frau noch zu verhindern.



(Quellen: Amnesty International -Urgent Action- 09. August 2010, Basler Zeitung vom 08.07.2010 und vom 12.08.2010, Die Welt vom 12.08.2010, Hessischer Rundfunk vom -Audio- 12.08.2010, Der Standard vom 12.08.2010, AVAAZ.org, Wikipedia)

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