Freitag, 27. Juli 2012

Verfassungswidrig: Das Bundestagswahlrecht

Im Jahre 2008 stellte das Bundesverfassungsgericht (BVG) fest, dass das Wahlrecht der Bundesrepublik Deutschland in Teilen gegen die Verfassung verstößt. In seinem Urteil räumte es der Politik bis zum Juli 2011 Zeit genug ein, um die beanstandeten Paragraphen zu ändern.

Die Zeit dafür muss aber wohl "irgendwie doch etwas zu kurz bemessen" gewesen sein: Erst im Dezember 2011 setzte die schwarz-gelbe Bunderegierung ihre Änderungen im Wahlgesetz gegen den Widerstand der Oppositionsparteien durch. Diese waren unter anderem nicht damit einverstanden, dass es weiterhin zu den vom BVG beanstandeten Überhangmandaten kommen kann und auch das Problem mit dem negativen Stimmgewicht nicht behoben wurde.

Die Bundestagsfraktionen der SPD und der Grünen sowie mehrere tausend Bürger klagten deshalb vor dem BVG, welches in seinem Urteil vom 25.07.2012 feststellte, dass das Bundestagswahlrecht weiterhin verfassungswidrig ist. Es verwarf die von der schwarz-gelben Koalition 2011 durchgesetzte Wahlrechtsreform als Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz und die vom Grundgesetz garantierte Chancengleichheit der Parteien.

Eine weitere Frist räumte das Gericht den Parteien im Bundestag nicht ein. Damit existiert seit gestern in der Bundesrepublik kein gültiges Bundestagswahlrecht und es fehlt die Rechtsgrundlage für die anstehende Bundestagswahl im Herbst 2013. Noch vor der Bundestagswahl im kommenden Jahr muss deshalb ein neues - und vor allen Dingen verfassungskonformes - Wahlrecht beschlossen werden. Eine der Vorgaben des BVGs: Zukünftig darf es nicht mehr als 15 Überhangmandate geben.

Dass es gelinegen könnte, ein Wahlrecht auszuarbeiten, das mit großer Wahrscheinlichkeit mehr als 15 Überhangmandate vermeidet, schätzt Herr Efler ("Mehr Demokratie e.V.", Vorstandssprecher) in einer Pressemitteilung des Vereins "Mehr Demokratie" als ausgesprochen schwierig ein. Am sinnvollsten sei es, sich grundsätzlich von Überhangmandaten zu verabschieden.

Die Tagesschau zitierte gestern Herrn Voßkuhle (BVG, Präsident) mit den Worten: "Angesichts der Vorgeschichte des neuen Wahlrechts sieht der Senat keine Möglichkeit, den verfassungswidrigen Zustand erneut für eine Übergangszeit zu akzeptieren. Trotz einer großzügig bemessenen, dreijährigen Frist für den Wahlgesetzgeber, eine verfassungsgemäße Neuregelung zu treffen, ist das Ergebnis - das ist übereinstimmende Auffassung im Senat - ernüchternd."

Dass es so kommen würde, war nach meiner Einschätzung eigentlich vorhersehbar. Der wespenfarbenen Bundesregierung war nur daran gelegen, ihre Reform ohne Rücksichtnahme auf demokratische Anstandsregeln durch das Parlament zu prügeln. Die Vorschläge aus der Opposition waren einfach ignoriert worden. Wer in der zentralen Frage, wie die Vertreter unserer Interessen gewählt werden, den Versuch unternimmt, im Alleingang die eigenen Interessen zu wahren, der wird am Ende die Quittung dafür bekommen.

Ein Vorgeschmack darauf ist die Ohrfeige des BVG für die schwarz-gelbe Regierungskoalition: Wenn das BVG übereinstimmend zu dem Schluss kommt, das Ergebnis der Bemühungen, trotz der großzügig bemessenen, um 5 Monate überzogenen  Frist, eine verfassungsgemäße Neuregelung zu treffen sei ernüchternd, dann bescheinigt es der Bundesregierung damit Unfähigkeit. So langsam könnte man den Eindruck gewinnen, dass die wichtigen politischen Entscheidungen nicht mehr in Berlin, sondern in Karlsruhe getroffen werden.


"Mehr Demokratie" hat auf die Entscheidung des Verfassungsgerichts mit einen Internet-Aufruf an die Fraktionen im Bundestag reagiert. Damit werden folgende Forderungen gestellt:
  • Abschaffung der Überhangmandate.
  • Stärkung des Einflusses der Wähler auf die personelle Zusammensetzung des Bundestages (z.B. durch Mehrmandatswahlkreise oder durch die Vorzugsstimme bei offenen Landeslisten, mit der bestimmten Kandidierenden auf der Liste der Vorzug gegeben werden kann).
  • Einführung einer Ersatzstimme, mit der vermieden wird, dass Stimmen für Listen, die an der Fünf-Prozent-Klausel scheitern, verloren sind: Es kann eine zweite Liste angekreuzt werden. Für den Fall, dass ihre erste Wahl unter fünf Prozent bleibt, zählt die Ersatzstimme.
Wer sich dem Aufruf von "Mehr Demokratie" anschließen möchte, der findet dazu auf der Internetseite des Vereins die Gelegenheit.


(Quellen: Tagesschau vom 25.07.2012, taz vom 25.07.2012, BVG - Pressemitteilung vom 25.07.2012 und vom 03.07.2008, Mehr Demokratie - Pressemitteilung vom 25.07.2012, Süddeutsche Zeitung vom 25.07.2012 und vom 04.06.2012, Tagesschau vom 28.09.2011)

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