Donnerstag, 16. Mai 2013

Das letzte Kapitel der Rogge-Halle?

Ehemaliges Proviantlager des Norddeutschen Lloyds
("Kleine Rogge-Halle"), Foto: © Peter Müller *)
Ich habe mich schon des öfteren darüber geärgert, wie gedankenlos seitens der politisch Verantwortlichen in Bremerhaven oftmals mit dem geschichtlichen und kulturellen Erbe der Stadt umgegangen wird.

Das heutige Bremerhaven ist zwar eine noch junge Stadt, aber ihre Geschichte reicht von den mittelalterlichen Wurzeln der heutigen Stadtteile Lehe, Geestemünde und Wulsdorf über den Bau des Alten Hafens mit der Gründung des "alten" Bremerhaven, den Zusammenschluss der Gemeinden Lehe, Geestemünde, Bremerhaven, Wulsdorf und Weddewarden zur Stadt Wesermünde bis zu deren Umbenennung in "Bremerhaven" und den Zusammenschluss mit der Stadt Bremen zum Bundesland Bremen nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs.

Für meine Kinder sind selbst die westdeutschen "Wirtschaftswunderjahre" oder der Kalte Krieg bis hin zur Wiedervereinigung des geteilten Deutschlands bereits "Geschichte". Bezogen auf die Entwicklung der heutigen Stadt Bremerhaven reicht der spannendste Zeitraum aus meiner Sicht vom ausgehenden 19. bis hinein in die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts.

In diese Zeit, in der die bremischen Häfen sich immer weiter in Richtung Norden ausdehnten, fallen unter anderem die Gründung der Deutschen Hochseefischerei oder die große Zeit der Werftindustrie. Auch bei der Auswanderung nach Übersee spielten die bremischen Häfen in Bremerhaven eine wichtige Rolle. Damit einher ging ein schnelles Wachstum der Bevölkerung und ein lange anhaltender Boom im Wohnungsbau.

Einen Anteil an dieser Geschichte hat unter anderem auch der Norddeutsche Lloyd mit seiner Reederei, den ehemaligen Fahrgastanlagen am Neuen Hafen und an der Kaiserschleuse, oder seinem Werftbetrieb, der im Bremerhavener Kaiserhafen auch heute noch unter dem Namen "Lloyd-Werft" existiert. Die Halle des Technischen Betriebs des Norddeutschen Lloyd am Neuen Hafen, die später von der Firma Rogge genutzt wurde und daher in Bremerhaven eher unter der Bezeichnug "Kleine Rogge-Halle" bekannt war, wurde quasi in einer Nacht und Nebelaktion platt gemacht. Mit der damals etwa 130 Jahre alten Halle verschwand eines der ältesten Zeugnisse der Werftindustrie für immer aus dem Stadtbild.


Den Willen der Bürger mit Füßen getreten

Eigentlich gab es einen Beschluss der Stadtverordnetenversammlung, demzufolge die Halle Stein für Stein abgetragen und an anderer Stelle neu aufgebaut werden sollte. Der Grund für diese Maßnahme war die Planung zur Bebauung im Bereich der heutigen "Havenwelten" am Neuen Hafen.

Mit Billigung des damaligen Oberbürgermeisters (Herr Jörg Schulz, SPD) ließ die "Bremerhavener Gesellschaft für Investitionsförderung und Stadtentwicklung" (BIS) jedoch ohne weitere Rücksprache den Abrissbagger anrücken. Damit handelte sich Herr Schulz nicht nur den Zorn der Opposition ein. Auch Mitglieder seiner eigenen Partei waren "total verärgert" (Herr Grantz, heute Oberbürgermeister), fühlten sich "von Herrn Schulz veralbert" (Herr Günthner, Parteivorsitzender) oder warfen ihm vor, er trete den Willen der Bürger mit Füßen (Herr Beckmeyer, Bundestagsabgeordneter).

Der Protest aus den Reihen der Bremerhavener Politik und der Bevölkerung führte dann allerdings dazu, dass die Steine in Handarbeit vom Mörtel befreit und gereinigt wurden. Ein großer Teil der Steine konnte so doch noch gerettet und für eine spätere Wiederverwertung gelagert werden. Ein Neubau für die seit vielen Jahren eingelagerte Sammlung des Nordsee-Museums neben dem Simon-Loschen-Leuchtturm am Neuen Hafen war nur eine von vielen Ideen, die aber alle wieder verworfen wurden.


Neues Interesse an alten Ziegeln

Gestern berichtete die Nordsee-Zeitung überraschender Weise, es gebe "plötzlich Interessenten für die geschichtsträchtigen Ziegel". Ein großer Teil davon solle für das Sockelgeschoss des Appartementhauses "Goodtimes" verwendet werden, das nach den Plänen des Architekten des Auswandererhauses am Neuen Hafen errichtet wird.

Einige der historischen Steine könnten bei den Nachbildung eines Teils im Unterwasserbereich einer Kaje im "Zoo am Meer" Verwendung finden. Die Ziegel wären dann als Deko in einem der Becken des neuen Aquariums zu sehen, an dem zur Zeit gerade gebaut wird.

Zum technischen Betrieb des Norddeutschen Lloyd am Neuen Hafen gehörte auch ein 1871 fertiggestelltes Großdock. Zumindest dieses Zeugnis der Bremerhavener Geschichte wurde in das Konzept der Havenwelten integriert. Das Dock war irgendwann in der Vergangenheit vollständig verfüllt worden. Die obere Schicht des Füllmaterials wurde entfernt, so dass die Mauern und die die Dimensionen des ehemaligen Docks heute wieder gut erkennbar sind.

Abgesehen vom Lloyd-Dock ist nur die später von der "Deutschen Betriebsgesellschaft für drahtlose Telegraphie" DEBEG genutzte Halle am Südende des Neuen Hafens erhalten geblieben. Ähnlich wie die "Rogge-Halle" war auch diese Halle bei den Bremerhavenern eher als "DEBEG-Halle" bekannt. Im Rahmen des Projekts "Havenwelten" wurde die ehemalige Lagerhalle des Norddeutschen Lloyd grundsaniert und an der Westseite um einen Anbau erweitert, in dem heute das "Lloyd's" untergebracht ist.


Das letzte Kapitel der Geschichte

Es mag ja für den einen oder die andere tröstlich sein, dass das historische Baumaterial auf diese Weise wenigstens davor bewahrt wird, als Schotter im Unterbau einer Straße zu enden. Später wird aber wohl trotzdem kaum noch jemand die Dekoration im Aquarium oder die Mauer des Sockelgeschosses des Appartementhauses mit der "Rogge-Halle", der großen Zeit der Bremerhavener Werften und der des technischen Betriebs des Norddeutschen Lloyd am Neuen Hafen in Verbindung bringen. Sollte es dieses Mal tatsächlich zur Verwendung der alten Ziegel kommen, dann würde damit endgültig das letzte Kapitel der ehemaligen "Rogge-Halle" geschlossen werden.


*) Möglicherweise wurden die Seiten gelöscht. Ich würde das sehr bedauern.

(Quelle: Nordsee-Zeitung vom 14.05.2013, Bremerhaven-Portal, Lloyd-Werft, Wikipedia )

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